Etappe 30: Von Atzenbrugg nach Altenberg
Ich breche früh auf, denn heute liegt eine lange Etappe vor mir. Schnell noch ein Blick zum traurigen Golfplatz, auf dem in diesem Jahr wohl niemand mehr spielen wird…
Hoffentlich wird sich mein Routenplaner keine solche Möglichkeit für mich ausgedacht haben:
Mein Weg führt aber sicher entlang des Kraftwerks. Unglaublich, dieser Koloss! Er zieht sich ewig rechts von mir hin, bevor er dann endlich hinter meinem Rücken immer kleiner wird.
Sieht eigentlich schön aus:
Vor den Häusern und Betrieben stehen manchmal wegen des Hochwassers ganz ähnliche Dinge rum:
Nach einer guten Stunde sehe ich eine Absperrung. Ich muss über den Fluss, deshalb umgehe ich sie.
Ein Mann kommt auf mich zu: „Haben Sie nicht gelesen, dass hier niemand durch darf?“ „Nein, aber ich versuche…“ „Wenn was passiert, was dann? Sie sind wohl Deutsche! Deutsche können nicht lesen!“ „Ja, alle nicht!“
Der ist ja richtig deutschfeindlich! Es ist das allererste Mal, dass mich jemand so unangenehm anspricht. Ansonsten begegnen mir die Leute äußerst aufgeschlossen und freundlich. Unterwegs habe ich immer wieder Kontakt zu Fremden. Sie interessieren sich für meine Wanderung und mache Leute erzählen auch von sich.
Ich gehe schnurstracks über die Brücke und ignoriere den Alten.
Am Ende steht noch ein Bauzaun, aber dieser bietet keinen Durchlass. Ich drehe kleinlaut um. Mitten auf der Brücke schaue ich auf die Karte. Ich könnte heulen! Es gibt keine andere Möglichkeit um über die Perschling zu kommen, weit und breit nicht. Ich bin alles bis jetzt umsonst gelaufen und das an meinem 30-Kilometer-Tag. Ohne diese Brücke schaffe ich es heute nicht. Aus reiner Verzweiflung gehe ich noch einmal zurück und schaue mir die Teile des Zaunes genauer an. Ich entdecke tatsächlich eine Schwachstelle. Links ziehe ich das Element ein wenig vor, schlüpfe durch und stelle es wieder sorgfältig hin.
So, jetzt muss ich aufpassen, dass ich mich nicht in Gefahr begebe. Am besten ich nehme gleich den Feldweg links in Richtung Donau. Komoot zeigt mir, dass der Weg am Ufer an einer Stelle nicht weiter geht. Vielleicht komme ich da doch durch, neben den Gleisen, übers Gras… Pech gehabt! Das Industriegelände, welches direkt an der Donau liegt, ist eingeräumt.
Ich laufe runter zur Donau bis ich sehe, dass hier wirklich kein Durchkommen ist. Die Flusskilometer sind zwar deutlich nach unten gegangen, seitdem ich den Fluss zum letzten Mal gesehen habe. Das gefällt mir, aber Wiedersehensfreude geht anders. Stattdessen spüre ich Ärger wegen unnötigen eineinhalb Kilometern. Ich muss zurück und mich irgendwie vorsichtig durch die Baustelle bewegen. Ich laufe über den Fahrradweg und sehe keinerlei Bauaktivitäten, keine Lastwagen oder Maschinen, nichts. Autos kommen auf mich zu, drehen vor einem weiteren Bauzaun um und fahren zurück. Hoffnung! Ich komme an diese dritte Hürde, die ich souverän überwinde, indem ich über ein Betonhindernis steige.
Was war das jetzt? Okay, die Straße ist vom Hochwasser beschädigt worden. Das ist vier Wochen her und nichts passiert. Die könnten doch wenigstens Radfahrer und Fußgänger durchlassen! Es gab keinerlei Gefahr für mich!
Ich teilte mir den Weg in vier Etappen ein um die Pausen zum Regenerieren halbwegs gleichmäßig zu verteilen. Nach acht Kilometern frühstücke ich: die Körnerstange und den Käse von gestern. Viele Bänkchen in dieser Gegend sehen romantisch aus.
Was für ein Glück habe ich!
Ich begleite die Große Tulln zu ihrer Mündung in die Donau.
Jetzt ist die Wiedersehensfreude richtig da. Aber der Fluss hat eine eigenartige Farbe und viele kleine Wellen. Außerdem fließt er in die falsche Richtung. (Ich mache extra ein Video für alle, die mir das nicht glauben werden.) Das kann nur an dem heftigen Wind liegen, der mit heute unangenehm entgegen kommt.Bald bin ich in Tulln, der Stadt in der ich meine zweite Pause einlegen möchte. Ich habe mich entschieden: Heute möchte ich Mittagessen, auch wenn ich danach vermutlich sehr müde sein werde. Aber dann kann ich heute Abend in Hotel bleiben.
Die Stadt überrascht mich positiv.
„Die ,Garten Tulln’ ist eine im Jahr 2008 eingerichtete Landesgartenschau des Bundesland Niederösterreich und wurde anschließend eine Dauereinrichtung.“, schreibt Wikipedia. Das Gelände an der Donau ist ansprechend gestaltet.
Dort befindet sich auch das Schiff Regentag. Hundertwasser hat zehn Jahre auf ihr gelebt und gemalt.
Meine kleine Sightseeingtour lohnt sich.
Im Schwarzen Adler esse ich das Mittagsmenü und trinke eine Cola um der Müdigkeit ein wenig vorzubeugen. Ich kaufe noch für heute Abend ein, dann geht es wieder zurück an die Donau. Da begegnen mir wieder die Römer: Römerturm und Marc Autel.
Die Wanderlust hat deutlich angenommen seit dem Mittagessen. Der Wind bläst mir immer unangenehmer ins Gesicht. Manchmal ergreifen mich heftige Böen. Doch die Donau liegt so schön neben mir. Die Bänkchen-Dichte ist enorm. Ich lasse mich immer wieder auf eines plumpsen, zum Erholen und zum Schauen. Ich habe ja keine Eile. Und so schaffe ich es geduldig bis zum Schwarzen Adler. 32 Kilometer!
Hier geht es nach dem Luxus von gestern ziemlich bescheiden zu. Aber ich habe alles, was ich brauche.
Der Tag hat sich anders angefühlt. Ein vorletztes Mal packen und aufbrechen, ein erstes Mal Mittagessen. Der heftige Wind. Die Schilder nach Wien überall. Ich kann es mir noch nicht vorstellen, dass ich dort Konrad morgen um 18:00 vom Bahnhof abholen werde. Eine letzte Übernachtung allein.
Es ist für mich unglaublich, wie viel man auf nur 32 km alles erleben kann! Und das Kleeblatt nach so viel Strapazen zu finden – das bedeutet Glück! 🙂